An Frauchens Rockzipfel
Manchmal äußern Hundehalter im Ersttermin den Wunsch bzw. das Trainingsziel, ihr Hund möge sich keinen Meter von ihnen weg bewegen, sondern den kompletten Spaziergang lang nicht von ihrer Seite weichen.
Und manchmal sehe ich tatsächlich solche armen Hunde, die genau dieses Verhalten zeigen.
Das ist kein Normalverhalten, deshalb ist das alles andere als ein sinnvolles Trainingsziel. Ein Hund, der sich nicht für seine Umwelt interessiert, sie nicht erkundet, sich nicht normal bewegt, schnüffeln geht usw., ist entweder krank, verhaltensgestört oder wurde falsch trainiert.
Versuche mal, Dich in so einen Hund hineinzudenken. Was wäre denn die Motivation, einfach nur dicht hinter Frauchen oder Herrchen herzudackeln?
1) Unlust, Unwohlsein, Schmerzen ... der Hund will oder kann sich nicht normal bewegen.
2) Angst oder Unsicherheit: Der Hund hat eine generalisierte Angst entweder vor der Umwelt und traut sich deshalb nicht vom Menschen weg ...
... oder er hat Angst vor dem Menschen selbst bzw. dessen Reaktion, wenn er sich von ihm wegbewegt (Stichpunkt falsche Trainingsmethoden).
Oder es besteht eine Bindungsstörung dahingehend, dass der Hund zu stark an den Menschen gebunden ist und sich selbst nicht zutraut, sich vom Menschen wegzubewegen und die Umwelt zu erkunden.
Wichtig: Es ist KEIN Zeichen einer guten, gesunden Bindung, wenn ein Hund permanent am Menschen klebt. Ein gesund an den Menschen gebundener Hund hat Spaß am Leben, Selbstvertrauen und erkundet die Umwelt (gilt ja genau so auch für Menschenkinder).
3) Übersteigerte Erwartungshaltung des Hundes an den Menschen: Dies kann passieren, wenn durchaus gut und fleißig mit dem Hund trainiert wird, viel daran gearbeitet wird, dass der Hund immer mal wieder Blickkontakt zum Menschen aufnimmt, viel Rückruf etc. trainiert wird, Suchspiele eingebaut werden usw. Wenn man es übertreibt und/oder der Hund einer Rasse angehört, die sehr arbeitswillig ist, kann man da durchaus mal übers Ziel hinaus schießen. Mein Coffee zeigt z.B. manchmal solche Ansätze. Läuft strahlend minutenlang Fuß und möchte jetzt bitte trainieren. ;-)
4) Suchtverhalten: Stichwort Balljunkie. Hunde, die man süchtig nach einem Objekt gemacht hat, kleben auch dauerhaft am Menschen, wenn dieser das Objekt in der Tasche hat (oder der Hund glaubt, der Mensch hätte das Ding in der Tasche).
Sicher gibt es noch mehr Gründe, warum ein Hund sich nicht vom Menschen lösen kann und diesem am sprichwörtlichen Rockzipfel hängt. Die oben genannten sind nur die, die mir auf die Schnelle eingefallen sind und mit Sicherheit ausreichen, um zu verstehen, dass es nicht gesund und normal ist, wenn ein Hund sich so verhält.
Schauen wir uns mal die Lösungsmöglichkeiten zu den vier genannten Punkten an:
zu 1) Ab zum Tierarzt!
zu 2) Verhaltenstherapie, wenn der Hund von sich aus dieses Verhalten zeigt (aus Angst, Unsicherheit, gestörter Bindung o.a.) ... wenn das Verhalten durch vorsintflutliche "Trainings"methoden entstanden ist (sprich: Hund wurde jedesmal massiv bestraft, wenn er sich "erdreistet" hat, sich von seinem Halter wegzubewegen, mit dem Ziel, dass er aus purer Angst "folgt"), dann lässt man selbstverständlich diesen Mist sofort sein und hat dann ordentlich Arbeit, das Vertrauen des armen Tieres wieder zurückzugewinnen. Dies dann bitte mit der Hilfe von einem vernünftig ausgebildeten Trainer.
zu 3) Den Hund auch Hund sein lassen. Das richtige Maß zwischen Training und Freizeit finden. Dem Hund klar signalisieren, wann trainiert wird und wann nicht (bei trainings- bzw. sportbegeisterten Hunden z.B.).
zu 4) Entzug. Evtl. auch in Verbindung mit Verhaltenstherapie.
Fazit: Es ist KEIN tierschutzgerechtes Trainingsziel, dass der Hund dauerhaft nur dicht beim Halter laufen soll und sich nicht normal bewegen darf. Erreicht werden kann dies nur durch massive wiederholte Strafen für Normalverhalten oder durch das Süchtigmachen nach einem belanglosen Objekt.
Bild © Susanne Klein