Interessanter als der Hase?
„Ich versuche dann irgendwie, interessanter zu sein als der Hase und meinem Hund zu zeigen, dass ich das Allerwichtigste auf der Welt bin.“
Das hat mir demletzt eine Kundin gesagt, als wir über Jagdverhalten sprachen und darüber, dass ihr Hund bisher in manchen jagdlichen Situationen noch sehr aufgeregt ist, unansprechbar und er weg wäre, wenn er nicht an der Schleppleine gesichert wäre. Die Kundin schien ziemlich geknickt zu sein, dass sie es nicht schafft, „interessanter als der Hase“ zu sein und ihr Hund sie dann jeweils nicht als Nabel der Welt empfindet.
Da viele Hundehalter noch diesen Gedankenfehler „Du musst das Interessanteste auf der Welt für deinen Hund sein“ im Kopf haben und nackt sambatanzend mit Fleischwurst behängt mit ihren Hunden spazieren gehen, wollte ich dazu mal paar Sätze schreiben. (-:
Der Hase und wie dein Hund darauf reagiert, gehört in den Verhaltensbereich „Jagdverhalten“.
DU und die Beziehung zwischen deinem Hund und dir - das gehört in den Verhaltensbereich „Sozialverhalten“.
Jagdverhalten ist Jagdverhalten, und Sozialverhalten ist Sozialverhalten. Diese Verhalten stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Kein Hund und kein Mensch muss bzw. kann sich für eins davon entscheiden und eins davon „toller finden“.
Findest Du deinen Ehepartner toller oder dein Lieblingsgericht? Oder deine Dusche? Oder deine Physiotherapeutin?
Falls Du jetzt vorschnell „natürlich meine Ehefrau“ gedacht hast, denk nochmal drüber nach. Wenn Du kurz vorm Verhungern wärst, wie wäre da die Wertigkeit einer Pizza? Würdest du drauf verzichten, weil Deine Frau die tollste ist? Wenn du wochenlang keinerlei Zugang zu Dusche, Zahnbürste, Kamm und frischer Kleidung hättest - wäre dir dein Ehemann dann immer noch genug?
Wenn Du einen schlimmen Hexenschuss oder eine ausgekugelte Schulter hättest, wäre dann die Physio nicht genau DIE Person, die du brauchst?
Nahrungsbeschaffung bzw. Dein nacktes Überleben vs. Sozialverhalten vs. Körperpflege vs. Gesundheit … kann/muss man sich für eins davon entscheiden?
Natürlich nicht.
Alle Verhaltensbereiche und alle lebenswichtigen Bedürfnisse sind gleichwertig wichtig und können nur innerhalb dieses Verhaltensbereichs befriedigt werden.
Du als Person kannst keinen Hunger stillen. Der Hase könnte es (Jagdverhalten = Nahrungsbeschaffung).
Der Hase wiederum kann nicht die sozialen Bedürfnisse deines Hundes befriedigen.
DU BIST das Wichtigste für deinen Hund (mal vorausgesetzt, dass du ein guter, liebevoller, fairer Sozialpartner bist). Du kannst und musst dich weder mit dem Hasen noch der Pizza noch dem Kamm noch dem Tierarzt vergleichen bzw. messen.
Also hör auf, es persönlich zu nehmen, wenn dein Hund seiner Genetik folgt und auf jagdliche Auslöser reagiert. Er tut es nicht, weil er dich "nicht toll genug findet". Fang damit an, daran zu trainieren, und erziehe deinen Hund. Hilf ihm, mit seinem Jagdverhalten, welches er natürlich in der Menschenwelt nicht einfach frei ausleben darf, zurechtzukommen. Dafür musst du aber keinen Konkurrenzkampf mit den Tieren des Waldes gewinnen. ;-) Du bist toll genug für deinen Hund. Du brauchst einfach nur ein paar Trainingsansätze für Jagdverhalten. Und sei präsent als Sozialpartner deines Hundes - du darfst ihm, wenn er den Hasen grade toll findet, gern auch mal erklären, dass du nicht möchtest, dass er den jetzt jagen geht.
Wie du das hinbekommst? Frag den/die Hundetrainer:in deines Vertrauens. Er/sie wird dir helfen, eine passende Lösung für deinen Hund und dich zu finden.
PS: Das Foto von Jara zu diesem Text ist einfach nur, weil Jagdverhalten und weil Sozialverhalten und weil sie die Schönste war. <3
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